Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger. […]Ihre politische Passivität und ihr konservatives Verhalten sind der Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden. (Zitat aus Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt)
...
Ehe, Adoption, Priesterschaft? Fast schon das Wahlprogramm der CDU. Alles gut, alles richtig – wenn auch vielleicht ein bisschen wenig. Einmal im Jahr aber wird gezeigt, wie wenig spießig (und wie kitschig) die LGBT-Bewegung sein kann. Dann gibt es wieder einen Tag lang alternative Lebensformen, die man so nicht aus dem Biologieunterricht kannte. Auch dieses Jahr steht die große CSD-Saison wieder an. Wieder werden Hunderte, Tausende, Hunderttausende mit pinker Federboa oder lila Latzhose auf die Straße gehen. Und hinterher werde ich mir wieder Blogeinträge, Webseiten und Kommentare durchlesen und mich ärgern, dass ich es schon wieder verpasst habe: Alkohol, Partys, Sex und das Wissen, dass irgendwo im vorhinterletzten Kaff doch noch eine alte Dame geschockt war. Danke, CSD. Aber wer bist Du eigentlich?
…
Wikipedia sagt mir:
Christopher Street Day (CSD) ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und deren Unterstützer. Gefeiert und demonstriert wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.
…
Ach ja? Wenn ich mal so ketzerisch fragen darf: Demonstriert ihr noch oder feiert ihr schon?
Gestern Abend hatte ich ein kurzes Gespräch mit Sesam*. Ich fragte, warum der CSD so gut wie keine politische Aussage mehr habe. Ob es nichts mehr gebe, wofür es sich zu demonstrieren lohnt. Vor allem aber, warum das noch Gay-Pride-Parade heißt.
Liebe Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere: Worauf seid ihr stolz? So als völlig (ähem) unbeteiligte Person frage ich mich das manchmal. Schwul sein alleine ist wohl kein Grund, stolz zu sein. Genauso wenig wie Frau sein. Die Rechte, die ihr heute habt, für die haben Generationen vor euch gekämpft. Die sollten inzwischen eigentlich selbstverständlich sein, und so behandelt ihr sie auch – auch wenn sie es leider immer noch nicht sind. Ein Blick nach Polen, auf die katholische Kirche und manche Debatte genügt. Wer will, darf sich auch noch weiter in der Welt umschauen.
Stolz? Auf das Erreichte – sicherlich.
Reicht das? Ich denke nicht.
Warum nicht? Weil die rechtliche und soziale Situation von LGBTs, die Einstellungen ihnen gegenüber und ihre Wahrnehmung mehr sind, als einfach nur eben das.
Die LGBT-Bewegung ist hier in Deutschland eine der am bestorganisierten, meistgehörten ‚Minderheiten’/ ‚Randgruppen’/ (Hier beliebige furchtbare Bezeichnung einfügen). Zumindest könnte sie es sein. Rein infrastrukturell. Sie setzt sich aus Menschen mit den verschiedensten sozioökonomischen Hintergründen, verschiedenen Bildungsgraden und Lebensentwürfen zusammen. Das hat Vorteile.
Dumm gefragt: Warum ist nicht die Immigrantin (das unbekannte Wesen) Bürgermeisterin von Berlin? Schließlich gibt’s da doch auch viele von dort… Also nicht, dass Herr Wowereit jetzt erfolgreicher Politiker wäre, weil er schwul ist. Westerwelle auch nicht. Aber die sind halt Politiker. Wo sind denn Immigranten, Arbeitslose, Menschen geringeren Bildungsgrads? Wo sind deren Paraden? Deren Clubs? Dass es die nicht gibt, liegt auch zum großen Teil daran, dass sich diese Gruppen eben nicht als solche sehen – sie aber trotzdem von außen so wahrgenommen werden. Und da denke ich haben die LGBTs schon etwas voraus und deshalb letztendlich auch eine gesellschaftliche Rolle, die sie nun ausfüllen können oder auch nicht. Man scheint sich in weiten Teilen für das oder-auch-nicht entschieden zu haben.
Nein, Schwule müssen nicht für die Rechte von Immigranten, Behinderten oder anderer Benachteiligter streiten. Ihre eigenen Rechte wären schon mal ein guter Anfang. Die Summe und die Teile, ihr wisst schon.
Ist aber nicht so. Man macht sich hübsch, geht saufen, tanzen, feiern. Völlig okay – nur könnte man dabei nicht wenigstens (pro forma) ein paar Parolen grölen? (Ihr könnt auch pro forma auf einem Kondom bestehen und es pro forma benutzen. Das hilft dann nämlich trotzdem.)
Sesam erklärte mir, er persönlich fühle sich als Schwuler hier nicht diskriminiert, warum also solle er mit diesem feiernden Pack dort um die Häuser ziehen, wenn das gar kein Interesse an Politik habe. Verständlich. Ich fühle mich auch als Frau nicht diskriminiert. Oder kann mich dagegen wehren. (Hm...)
Ich weiß aber, dass es Diskriminierung gibt, an allen Ecken und Enden – und die sind gar nicht weit entfernt. Ich weiß auch, dass das die meisten Frauen nicht interessiert – die Frage, warum ich für die Rechte eines Mädels eintreten soll, dass es total okay findet, wenn ihr Freund sie ‚Bitch’ nennt und sich einen Dreck um ihre Meinung schert, die Frage stelle ich mir auch öfter. Und warum sollte ich es scheiße finden, wenn ein Prof Frauen schlechtere Noten gibt, weil die sowieso nicht denken können, wenn seine Studentinnen sich nicht daran stören. Ist ja nicht mein Prof. Warum soll ich mich mit einer breiten Masse von pseudoemanzipierten Tussen solidarisieren, die finden, dass ein entschuldigendes Grinsen nach dem Griff unter den Rock den Tatbestand der sexuellen Belästigung entkräftet? Dass das Recht auf Beine breitmachen und Pille die Haupterrungenschaft der Frauenbewegung ist? Warum? Weil sie zufällig auch eine Muschi haben?
Nein. Nicht deswegen. Sondern weil das oben beschriebene Verhalten schlichtweg inakzeptabel ist – egal, ob die betroffenen Damen damit einverstanden sind, oder nicht. Das tut nämlich nichts zur Sache. Im Englischen gibt es den Ausdruck des ‚informed consent’, und meines Erachtens nach sind dazu viele Leute entweder nicht in der Lage oder willens. Consent, yes. Informed, no.
Auch wenn sie es mit anderen machen, ist es nicht okay. Irgendwann sind wir dran. Wie kommt’s dass ich nicht derjenige sein möchte, der aufgrund seiner anatomischen Merkmale weniger verdient, seltener in Managementpositionen kommt, in der Straßenbahn von vier Sehrspätpubertierenden als Freiwild betrachtet wird, an dem man ungefragt in der Anonymität der Masse seine unteren Körperregionen reiben darf, dessen Meinung nur gehört wird wenn genehm, der in Diskussionsrunden übergangen wird, dessen Intelligenz nach der prozentualen Erfüllung von Schönheitsidealen beurteilt wird…
Und da, finde ich, geht es doch anderen Interessengruppen nicht anders. Idioten gibt es überall, mehr als genug. Schwul sein, Frau sein schützt davor leider nicht. Aber sich deswegen selbst zu einem zu machen? Ich weiß ja nicht…
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn der CSD, euer Aushängeschild, nur noch eine hypersexualisierte Tanzveranstaltung ist, dann kann es gut sein, dass er in der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen wird. Um eine Botschaft zu verbreiten müsste man schon mal das Maul aufmachen. (Und nicht zum saufen.)
…
* (Name vor der Reaktion geändert)
Tuesday, 17 April 2007
komm, geh tanzen.
Subscribe to:
Post Comments (Atom)
No comments:
Post a Comment